In der energiepolitischen Diskussion taucht in diesen Tagen ein altes Schreckgespenst auf: Die Energieeffizienz von Gebäuden würde die Kosten des Wohnens in die Höhe treiben. Dass das so nicht stimmt, wissen wir spätestens, seitdem die „Baukostensenkungskommission“ der Bundesregierung die Kostenentwicklung beim Bauen unter die Lupe genommen hat. Das Ergebnis: Natürlich sind gedämmte Fassaden, Heizungen, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden, Wärmeschutzverglasungen und andere Energieeffizienzmaßnahmen nicht zum Nulltarif zu haben und haben einen Anteil an den gestiegenen Baukosten.
Viel mehr noch sind aber deutlich höhere Komfortstandards (Balkone, Fahrstühle, Außenanlagen, Tiefgaragen), gestiegene Grundstückspreise in begehrten Lagen, Teuerungen bei Rohstoffen und viele weitere Faktoren für die Kostensteigerungen verantwortlich. Dabei gilt es zu bedenken, dass Investitionen in Energieeffizienz die einzigen Kostenpositionen sind, die auch Einsparungen liefern.
Soweit ist eigentlich alles bekannt – was also tun? Einerseits soll das Wohnen wieder günstiger werden, andererseits sind die Energie- und Klimaschutzziele ohne erhebliche Energieeinsparungen im Gebäudesektor nicht realisierbar. Dafür brauchen wir Investitionen in die Energieeffizienz.
Zunächst stellt sich die Frage, welche energetischen Anforderungen die Bundesregierung jetzt bei der anstehenden Definition des „Nearly zero-energy buildings“ (NZEB) festlegt. Orientiert sie sich an den Vorstellungen der Europäischen Union und verschärft die heute geltenden Anforderungen? Vermutlich wird sie – wie im Koalitionsvertrag festgelegt – den heutigen gesetzlichen energetischen Mindeststandard als NZEB festschreiben.
Das zeugt nicht unbedingt von einer ambitionierten Energie- und Klimapolitik, könnte in der aktuellen politischen Lage aber ein verschmerzbares Eingeständnis an die angespannte Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt in den Ballungsräumen sein. Denn: Ob man die energetischen Anforderungen jetzt verschärft oder sie in ein paar Jahren erneut auf den Prüfstand stellt, macht angesichts der geringen Rolle des Neubaus für die Klimabilanz keinen großen Unterschied. Außerdem baut heute ohnehin schon über die Hälfte energetisch besser als vorgeschrieben – nicht zuletzt deswegen, weil es gefördert wird. Den gesetzlichen Baustandard anzuziehen hieße auch, Fördermöglichkeiten einzuschränken. Denn fördern kann der Staat nur das, was er nicht ohnehin gesetzlich vorschreibt.
Viel wichtiger ist jedoch, ob die Bundesregierung jetzt einen gezielten Impuls für die energetische Sanierung des Gebäudebestandes setzen kann. Das wäre energie- und klimapolitisch weitaus bedeutsamer, weil hier erhebliche Energieeffizienzpotenziale liegen. Schon das 2030 zu erreichende Klimaschutz-Ziel für den Gebäudesektor, die Reduktion der CO2-Emissionen um 66 bis 67 Prozent im Vergleich zu 1990, ist hochambitioniert und die Zeit läuft schon jetzt davon.
Die Investitionszyklen im Gebäudesektor sind lang, Kapazitäten auf der Umsetzungsseite sind weder schnell noch in beliebiger Höhe erweiterbar. Das bedeutet: Energetische Sanierungen, die heute aus Mangel an Anreizen ausbleiben, können später nicht mehr rechtzeitig kompensiert werden. Gelingt es nicht, die energetische Gebäudesanierung schleunigst zu intensivieren, werden die Klimaziele unweigerlich verfehlt.
Im Koalitionsvertrag wurde aus diesem Grund vereinbart, dass eine steuerliche Förderung der energetischen Modernisierung eingeführt werden soll. Das ist ein Vorhaben von zentraler Bedeutung, denn es ist das einzige kurzfristig realisierbare Politikinstrument, das einen schnellen und wirksamen Impuls auslösen und so einen nennenswerten Beitrag zur Erreichung der Energie- und Klimaziele im Gebäudesektor leisten kann.
Dass dieses Instrument in dem nun im Bundestag zu beratenden Haushaltsentwurf gar nicht enthalten ist, erscheint weder Branchenexperten noch Energie- und Baupolitikern verständlich. Was für die energetischen Standards im Neubau gilt, muss auch für die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung gelten: Was im Koalitionsvertrag steht, wird umgesetzt.
Will die Bundesregierung die Energie- und Klimaziele für 2030nicht unmittelbar im Anschluss an die 2020-Ziele abschreiben, ist sie gut beraten, das Instrument in den Haushalt aufzunehmen. Auch wenn 2030 und 2050 noch in weiter Ferne erscheinen: Aus der Gebäudeperspektive ist das übermorgen. Und deswegen steht auch nicht eine spätere Regierung für die Erreichung der anvisierten Energie- und Klimaziele in der Verantwortung, sondern genau diese.
Die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung ist ein Lackmustest, wieviel die Energie- und Klimaziele der neuen Regierung wert sind. Weitere werden in den kommenden drei Jahren folgen.
Zuerst erschienen im Tagesspiegel Background Energie & Klima am 24. Mai 2018.